Gottes Neue Offenbarungen

Die Geistige Sonne
Band 1

Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits

- Kapitel 93 -

Das Vermögen, gleichzeitig mehrfach erscheinen zu können - Erklärung

Nun aber gehen auch wir, damit wir ebenfalls zur rechten Zeit an Ort und Stelle sind. Denn diese Gesellschaft wird eben nicht zuviel Zeit brauchen, um zu den andern in den Garten zu gelangen; daher müssen wir nun auch auf eins dort sein. - Sehet, wir sind auch schon da, wo wir sein müssen. Der Herr weiß es wohl, daß wir auch darin Zeugen waren, was sich alles mit den Seelenschläfern zugetragen hat, aber sonst weiß es niemand. Ihr fraget zwar und saget: Diese da, die unterdessen im Garten zurückgeblieben sind, werden es doch wohl wissen, daß wir abwesend waren.
2
Sehet, in dieser Hinsicht ist es im Reiche der Geister ein bißchen anders als in der Welt. In der Welt ist eure Erscheinlichkeit mit eurer Individualität engst verbunden und ihr könnet euch niemandem anders zeigen, als so ihr persönlich ihm zu Angesichte stehet. Aber, wie gesagt, hier ist das ein wenig anders. Es gibt zwar auch auf der Welt seltene Fälle, die dieser Erscheinlichkeit ähnlich sind, aber nur in sehr unvollkommenem Maße.
3
Die sogenannten Doppel-, Drei-, Vier-, Fünf-, Sechsund noch Mehrfach- Gänger sind etwas Ähnliches, da nämlich ein und derselbe Mensch, wie er leibt und lebt, entweder sich selbst noch einmal sieht, oder er von jemand anderem an einem ganz anderen Orte gesehen wird, auch manchesmal sogar gleichzeitig an mehreren Orten, ohne sich jedoch individuell an einem dieser Orte wirklich zu befinden. Dies ist somit ein ähnlicher Fall, der jedoch nur selten vorkommt. Aber ein anderer Fall, der dieser gegenwärtigen geistigen Erscheinlichkeit um vieles ähnlicher ist denn der frühere, kommt um vieles häufiger vor, wird aber eben seiner Häufigkeit wegen zu wenig beachtet, sonach auch zu wenig gründlich beurteilt und in der Tiefe verstanden.
4
Dieser Fall ist folgender: Wenn sich ein Mensch in seiner äußeren Erscheinlichkeit irgendwo befindet, so kann es geschehen, daß an hundert, ja tausend verschiedenen entlegenen Punkten seine Bekannten zu gleicher Zeit an ihn denken. Keiner aus allen, die an ihn denken, stellt sich ihn anders vor, als er nach seiner Form, Gestalt und Beschaffenheit wirklich ist. Nun fraget euch: Wie haben denn alle diese Tausende also an ihn denken und ihn sonach in ihrem Geiste vervielfältigen können, während er doch im Grunde nur einmal vorhanden ist?
5
Der Grund liegt darin, weil dem Geiste nach ein jeder den andern bildlich nicht nur einfach, sondern zahllosfach in sich trägt, gleichermaßen wie zwei sich gegenüber gestellte Spiegel ebenfalls dem Bilde nach sich zahllosfach spiegeln können, das heißt, sie können sich dem erscheinlichen Bilde nach zahllosfältig gegenseitig aufnehmen. Die zwei ersten gegenseitigen Spiegelungen werden am lebhaftesten und zugleich auch die größten sein, alle nachfolgenden werden sukzessive kleiner und auch stets weniger lebhaft sein.
6
Wenn ihr nun dieses Vorangeschickte ein wenig fasset, so wird es euch nicht schwer werden, die Erscheinlichkeit hier im reinen Reiche der Geister zu verstehen, denn was ihr bei euch ausgebildete Gedanken nennt, das sind hier wie vollkommen äußerlich ausgeprägte Erscheinungen. Die erste Ausprägung ist die lebhafteste und am wenigsten vergängliche. Spätere Ausbildungen oder die sogenannten Nachgedanken, die ihr allenfalls als flüchtige Erinnerungen kennet, sind nicht mehr stichhaltig und, außer einem festen Willen des sie in sich tragenden Individuums, auch nicht in die Erscheinlichkeit tretend. Wir aber sind erst vor diesen Gartenbewohnern gestanden und haben mit ihnen die allerwichtigsten Dinge verhandelt. Sonach waren wir auch, und sind es noch, die Hauptgedanken oder die Hauptreflexionen in ihnen. Aus diesem Grunde haben sie uns auch fortwährend gesehen, ohne daß wir mit unserer Hauptindividualität vonnöten gehabt hätten, beständig vor ihnen zu sein.
7
Eine Haupteigenschaft dieser Erscheinung aber liegt darin, daß diese Erscheinlichkeit für denjenigen, der sie aus seinen Hauptgedanken hervorgerufen hat, auch sprech- und somit jeder Unterredung fähig ist. Ihr fraget, wie solches möglich? Auch für diesen Fall gibt es schon Erscheinlichkeiten auf der Welt, die mit dieser eine Ähnlichkeit haben. So kann z.B. jemand einen Traum haben, wo er mit seinem Bekannten dies und jenes gesprochen und der Freund ihm gegenüber auch dies und jenes gesagt hat. Kommt er hernach im wachen Zustande zu seinem Freunde, so weiß der Freund sicher keine Silbe, was sein vollkommenes Ebenmaß im Traume seines Freundes gesprochen hat. Und dennoch war die Sprache des Träumers und des im Traume gesprochen habenden Freundes so gestaltet, daß der Träumer nicht wußte, was ihm sein geträumter Freund sagen wird, bis der geträumte Freund wirklich den Mund geöffnet hat. Das wäre somit eine ähnliche Erscheinlichkeit.
8
Eine zweite ähnliche Erscheinlichkeit ist auch die der Doppel- und Mehrfach-Gänger, bei welcher Gelegenheit ebenfalls nicht selten die erscheinenden Nachtypen der Hauptindividualität mit denen Worte wechseln, denen sie erscheinen. Bei dieser Gelegenheit aber tritt die Ähnlichkeit mit dieser reingeistigen Erscheinung schon etwas bestimmter hervor, denn in dieser Sphäre weiß nicht selten das Hauptindividuum, wenn schon in einer dunklen Ahnung, von dem, was es irgendwo in seiner lediglich geistig nachplastischen Erscheinlichkeit gesprochen habe. Ihr saget hier freilich: Diese Erscheinlichkeit hängt nicht vom Hauptgedanken dessen ab, dem sie zu Gesichte kam. Das ist freilich wahr; daher sind aber diese Erscheinungen auch nur als ähnliche, aber nicht als völlig identische angeführt. Sie haben in der eigentlichen Tiefe wohl einen und denselben Grund; aber die Ausbildung muß natürlich da um vieles verhüllter erscheinen als hier, wo alles offen und klar reingeistig vor uns steht.
9
Solches aber könnet ihr zur leichteren Verständlichkeit euch noch hinzumerken, daß die Erscheinlichkeiten, als abgesondert von den Hauptindividuen, auf zweifache Art bewirkt werden können: Nr. 1 auf die schon oben bekanntgegebene Art, Nr. 2 aber auch durch den festen Willen dessen, der außer seiner Hauptindividualität irgend erscheinlich auftreten will. Auf diese zweite Art läßt sich, die Sache tiefer fassend, auch das Wesen der sogenannten Doppel- und Mehrgängerei näher bestimmen. Jedoch kann solches auf der Welt nie genau ausgeprägt werden, indem das Geistige doch unabänderlich, selbst bei den besten Verhältnissen, mit der Materie im Konflikte steht.
10
So gäbe es auch noch eine ähnliche dritte Art solcher Sprecherscheinlichkeit bei den sogenannten Monologisten, die irgendein Individuum fixiert sprechend vor sich hinstellen und dann mit demselben, wie ihr zu sagen pflegt, con amore Worte wechseln. Dieser Fall paßt beinahe am meisten hierher; unterschiedlich ist darin nur das, daß fürs erste die fixierte Person bei den Monologisten nicht in die wirkliche Erscheinlichkeit tritt, und daß fürs zweite diese fixierte Person im Grunde doch nur das spricht, was ihr der Monologist gewisserart, wie ihr zu sagen pflegt, ins Maul streicht.
11
Hier aber redet die Erscheinlichkeit ganz dem Hauptindividuum identisch. Der Grund liegt darin, weil die Erscheinlichkeit keine phantastische ist, sondern sie ist der hervorgerufene lebendige geistige Ausdruck des Hauptindividuums.
12
Im Grunde des Grundes aber ist sie formell die Bruderoder Nächstenliebe, welche nirgends außer im Herrn den Grund hat. Nun aber steht, zufolge der Liebe des Herrn in einem jeden Geiste, ein jeder Geist in unablässigem Rapporte mit dem Herrn Selbst, und somit auch alles, was in jedem Geiste ist. Wenn wir nun vor einem andern Geiste, wie es hier der Fall ist, alsonach nicht in der Hauptwirklichkeit, sondern bloß erscheinlich sprechend auftreten, so ist dieses Auftreten lebendig im Herrn konsigniert. Wie ich etwas denke, geht solches Denken alsobald durch den Herrn in unser zweites oder auch hundertstes erscheinliches Ich über, und dieses zweite erscheinliche Ich tut und spricht dann gerade so, als wenn wir selbst hauptwesenhaft tätig und sprechend zugegen wären. Wir können demnach als Hauptindividualitäten auch alles bis auf den letzten Tropfen wissen, was unsere erscheinlichen Ebenmaße gehandelt und gesprochen haben.
13
Solches kommt euch freilich wohl etwas stark wunderbar vor; aber es ist in dem vollkommenen Reiche des Lebens, da eines jeden Geistes lebendige Tatkraft vielseitig in Anspruch genommen wird, auch lebendig also. Sagen doch bei euch so manche sorglich tätige Menschen: Wenn ich nur überall selber zugleich zugegen sein könnte, wenn ich mich nur zerteilen könnte! Diese Sprache, dieser Wunsch und dieser oft sehr starke Gedanke ist mehr als ein deutlicher Beweis, daß es im Reiche des Geistes möglich sein muß, sich auf obbesagte Art wirkend zu zerteilen, ohne dadurch in seiner Hauptindividualität als Einheit nur die geringste Teilung zu erleiden.
14
Denn was nur immer dem Geiste möglich ist, zu denken, das ist im Reiche der Geister auch vollkommen reell ausgebildet vorhanden, nur mit dem Unterschiede: bei den unvollkommenen Geistern unvollkommen, bei den vollkommenen aber vollkommen als Ebenmaß zu dem Allervollkommensten im Herrn. - Ich meine, es wird nicht mehr nötig sein, für diesen Fall mehr Worte zu gebrauchen; der Verständige wird wissen, was damit gesagt ist, für den Unverständigen aber würde auch noch tausendfach mehr nicht genügen. - Nun aber kommt auch schon unsere Gesellschaft aus dem Kloster; daher bereiten wir uns auf ihren Empfang vor!

Fußnoten