Die Geistige Sonne
Band 2
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 47 -
IX. Stockwerk. Unterschied zwischen Weisheits- und Liebelicht
Wir hätten uns über die überaus zarte Rundtreppe heraufgehoben und befinden uns nun ganz wohlbehalten im neunten Stockwerke oder auf der zehnten Galerie. So denn sehet euch nur sogleich recht aufmerksam um und saget es mir dann nach der gewöhnlichen Art und Weise, was alles ihr hier Neues und Denkwürdiges erschaut habt.
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Ihr machet hier, wie ich sehe, ein wenig große Augen und stutzet. Was ist es denn, das euch hier also zu befremden scheint?
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Ihr saget: Lieber Freund und Bruder, außer einer lichtgrauweißlichen, kontinuierlichen Wand des Hauptgebäudes entdecken wir zur Abwechslung gar nichts, außer, so wir abwärts sehen, Teile der früheren Galerien; aber das, darauf wir stehen, können wir nicht erschauen, also weder einen Boden, noch irgendein Säulenrondell, noch ein Geländer und schon am allerwenigsten irgendein Säulenrondell-Ornament. Sollten sich aber jedoch solche Dinge auch auf dieser ganz entsetzlich luftigen zehnten Galerie vorfinden, so bitten wir dich im Ernste um eine Augensalbe, denn mit so bestelltem Augenlichte werden wir ganz entsetzlich wenig zu Gesichte bekommen und darnach urteilen können, was alles Wunderherrliches und Vielbedeutendes sich etwa auf dieser zehnten Galerie vorfindet.
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Lieber Freund und Bruder! Wenn allfällig im Innern dieses neunten Stockwerkes auch Menschen wohnen und diese von ebenfalls so überaus durchsichtiger Natur sind wie diese gegenwärtige Galerie, da meinen wir, wird es für uns keine Gefahr haben, solche anzusehen; so wenig, als es auf der Erde für die Menschen von irgendeiner sinnlich bezaubernden Gefahr ist, wenn sie auch von den allererhabenst schönsten himmlischen Wesen umgeben sind, aber von ihnen nicht ein Atom groß zu sehen bekommen.
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Wenn wir überhaupt so recht aufmerksam auf die kontinuierliche Wand hinsehen, so entdecken wir nicht einmal irgendeine Eingangstüre; und es hat sehr stark den Anschein, als wohneten hierin entweder pure Geister, oder es wohne gar niemand darinnen. Fürwahr, über diese höchst luftige Einrichtung könnte man sich im Ernste ein wenig lustig machen, denn wo nichts zu sehen ist, da ist für das betrachtende Subjekt auch so gut wie gar kein Objekt vorhanden. Ohne Objekt aber möchten wir denn doch auch ein wenig wissen, wie man da zu irgendeinem anschaulichen Begriffe desselben gelangen kann, außer man schmiedet aus seiner eigenen Phantasie ein ganzes Regiment Hypothesen, mischt sie dann wie Spielkarten untereinander, wirft sie in seinen Glückstopf, zieht blindlings eine aus demselben hervor und macht dann diese zu einem Haupttreffer.
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Fürwahr, es scheint sehr stark, daß wir auf dieser Galerie werden zu unsichtbaren Hypothesen unsere Zuflucht nehmen und sagen müssen, was allenfalls sich hier vorfinden kann; aber nicht, was sich etwa im Ernste vorfindet.
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Ja, meine lieben Freunde und Brüder, dem Anscheine nach habt ihr freilich wohl hier in so manchen Stücken recht; aber der Wirklichkeit nach sind eure Angaben und Mutmaßungen, wie auch so manche witzig scheinende Phrasen noch ums Außerordentliche viel luftiger und durchsichtiger als die Gegenstände dieser zehnten Galerie.
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Habt ihr nie gehört auf der Erde und nie gesehen, welches Mittels sich die Blinden statt des Augenlichtes bedienen? Ihr saget: Diese greifen und befühlen, ob und was da ist. Nun gut; wenn ihr hier für diese Gegenstände so gut wie blind seid, so greifet, und ihr werdet euch dann ja wohl überzeugen, ob etwas oder ob nichts da sei.
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Ich sage euch: Wir befinden uns knapp an einem Säulenrondell, welches hier freilich wohl nur mehr aus zwölf einzelnen Säulen besteht. Tastet ein wenig um euch, und euer Gefühl wird euch gar bald sagen, wie es sich mit der Sache verhält. Sehet, da hinter euch ist gleich eine Säule; nur hingegriffen, und ihr werdet sie sogleich sicher recht wohl gewahren.
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Nun, ihr habt solches getan; habt ihr eine Säule entdeckt oder nicht? Ihr saget: Fürwahr, lieber Freund und Bruder, wir haben noch dazu eine überaus feste Säule mit unseren Händen entdeckt; aber was ist denn das für eine entsetzliche Materie, die bei solch einer außerordentlichen Festigkeit also durchsichtig ist, daß von ihr auch mit dem schärfsten Blicke keine Spur zu entdecken ist? Auf der Erde ist solch eine Erscheinung undenklich.
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Ja, meine lieben Freunde und Brüder, ich sage euch hierzu nichts anderes als: Alles richtet sich nach der Gestalt (Wesen) der Sache. Es werden sich aber dennoch Beispiele finden lassen, durch die diese Erscheinung sich sogar auf eurer Erde recht gut wird erklären lassen. Die Erfahrung wird es euch lehren, so sie es euch nicht schon gelehrt hat, daß ganz gleiche Gegenstände, d.h. Gegenstände von vollkommen gleicher Farbe, voneinander unter gewissen Bedingungen mit dem allerschärfsten Auge nicht unterscheidbar sind.
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Nehmet zum ersten Beispiele eine vollkommen weiße Wand und malet dann mit eben der vollkommen weißen Farbe eine Landschaft auf diese weiße Wand, und wenn sie fertig sein wird, dann versuchet eure Augen, ob ihr von der Landschaft etwas entdecken werdet? Sehet, da hätten wir schon ein Beispiel.
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Nehmet einen geschliffenen Diamanten und leget ihn in durch eine kleine Esse angefachte Kohlenglut. Der Diamant wird sobald, ja im ersten Augenblicke, in die vollkommene Glühe der Kohlen übergehen, obschon sich bei solcher Hitze nicht im geringsten verflüchtigen. Rufet dann jemanden herbei, der die Stelle nicht weiß, dahin der Diamant gelegt worden ist, und er kann einen ganzen Tag lang in die Glut hineinstarren, und ihr könnet versichert sein, daß er so wenig wie ihr selbst von dem Diamanten die allerleiseste Spur entdecken wird. Warum denn nicht? Weil der Diamant als ein höchst durchsichtiger Körper unter ganz gleichen Licht- und Glühumständen selbst als ein überaus fester Körper von seiner Umgebung nicht unterscheidbar ist, indem seine Kanten unter solchen ganz gleichen Umständen keine Abmarkung seiner Form erschaulich zulassen.
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Sehet, das ist schon wieder ein Beispiel auf der Erde. Gehet in eine Glasfabrik; nehmet da Glasperlen oder sonstige Gegenstände aus Glas und werfet sie hinein in die weißglühend flüssige Glasmasse im Schmelztigel, sehet dann recht fest hinein und beschreibet euch gegenseitig die verschiedenen Glasperlformen, wie sie allenfalls aussehen; ihr werdet davon so viel wie gar nichts entdecken. Sehet, da hätten wir schon wieder ein Beispiel auf der Erde.
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Nun ein euch gar nahes Beispiel! Schüttet in ein ganz reines Glas ebenfalls ein ganz reines Wasser und versuchet dann, ob ihr vom gefüllten Glase die innere Wand, an der natürlich das Wasser liegt, entdecken könnet? - Noch mehr Beispiele: Leget ein vollkommen reines Glas in ein ebenfalls vollkommen reines Wasser, und ihr werdet von dem Glase eben nicht gar zu viel zu Gesicht bekommen. Ferner laßt euch von vollkommen reinem Glase, welches auf beiden Seiten spiegelblank geschliffen ist, eine Fensterscheibe einschneiden und versuchet vom Zimmer aus, etwas vom Glase der Fensterscheibe zu entdecken. Ihr könnt versichert sein, ein jeder Fremde, der in euer Zimmer kommen wird, wird zu euch sagen: Aber warum lasset ihr denn da keine Scheibe hineinschneiden? Warum wird er denn solches sagen? Weil er die Materie des reinen Glases von der gleich reinen Luft nicht zu unterscheiden vermag.
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Dann ferner gehet an einem nebligen Tage an ein Wasser und versuchet, ob ihr vom Wasser etwas entdecken könnet, wenn der Nebel auf desselben Oberfläche liegt. Andere Gegenstände werdet ihr in gleicher Entfernung noch recht gut ausnehmen; aber nur die Oberfläche des Wassers nicht, weil dieses natürlich die gleiche Färbung mit dem über ihm schwebenden Nebel annimmt. Desgleichen werdet ihr auch auf einem Gletscher selbst schon bei einem schwachen Nebel von den Eisformen desselben, sogar unter euren Füßen, nichts mehr zu entdecken imstande sein. Die Ursache liegt ebenfalls im gleichen Lichte.
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Nehmet ihr z.B. zum Beschlusse noch an, ihr befändet euch in einer Doppelsonnen-Weltsphäre, wo nicht selten für die Bewohner der Planeten eine Sonne vor der andern, wenn schon in bedeutender Entfernung, also vorüberzieht, wie bei; einer Sonnenfinsternis euer Mond scheinbar die Sonne verdeckt. Beim Monde könnet ihr ganz genau merken, in wie weit dessen scheinbare Scheibe über die scheinbare Scheibe der Sonne gezogen ist. Würdet ihr wohl auf eine gleiche Art zwei übereinander gezogene Sonnenscheiben ebensogut unterscheiden können? Ihr würdet da nichts als eine Zusammenschmelzung der zwei Sonnen in vollkommen eine ausnehmen; aber die Abmarkung der einen Glanzscheibe gegen die andere wird euren Augen völlig entgehen ob des gleichen Lichtes.
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Ich meine, wir werden der Beispiele genug haben, aus denen ihr die Nichtsichtbarkeit der Gegenstände dieser Galerie gar leicht erklärlich finden werdet. Der Grund liegt nämlich darin, weil die Gegenstände in gleicher Farbe und gleicher Durchsichtigkeit mit dem sie allenthalben umgebenden ätherischen Lichtstoffe sind.
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Dieses ist aber nicht nur materiell richtig, sondern auch geistig. Denket euch eine Gesellschaft von vollkommen gleich weisen Menschen; wie werden sich die untereinander verhalten? Ich sage euch: nicht anders als wie Blinde, Taube und Stumme, denn keiner wird dem andern etwas zu sagen haben, weil er schon im voraus weiß, daß sein Nachbar ganz bestimmt das weiß, was er ihm sagen möchte. Ein gleicher Fall ist ja in eurem gewöhnlichen Leben ersichtlich vorhanden.
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Was tun zwei Bekannte, so sie dann und wann zusammenkommen? Sehet, alsbald fragt einer den andern: Nun, was gibt es denn Neues? Weiß einer dem andern etwas Neues zu erzählen, so wird ihn der andere mit großer Aufmerksamkeit anhören; wissen aber beide miteinander nichts, so wird der Diskurs von sehr kurzer Dauer sein. Warum denn? Weil in diesem Falle die beiderseitigen Wissenschaftslichtfarben ganz homogen sind. Derselbe Fall wird es auch sein, wenn beide eine und dieselbe Neuigkeit schon geraume Zeit wissen. Wie der eine dieselbe zu erzählen anfangen wird, so wird ihm der andere sogleich sagen: O das ist ja schon etwas Altes; wenn du nichts Besseres weißt, so haben wir schon ausgeredet.
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Desgleichen ist es auch der Fall, wenn ein Blinder den andern führen soll, oder ein Dummer den andern unterrichten. Wie weit dergleichen Menschen kommen werden, ist bekannt und braucht nicht näher erörtert zu werden.
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Aber aus eben dem Grunde können auch die Menschen auf dem Erdkörper die sie umgebenden Geister nicht sehen, weil sie selbe sehen möchten mit ihren Augen, die da homogen sind mit ihrem Verstande, und dieser homogen mit der formellen Substanz der Geister.
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Wenn aber jemand in seine Liebe geht, welche ein anderes Licht ist als das Licht der puren Weisheit, so wird er auch sobald die geistigen Formen um sich zu schauen anfangen, und diese werden sobald verschwinden, wie er sie in sein Denken aufnehmen wird. - Sehet, das ist so ein kleiner Anfang von dem, was wir hier werden kennenlernen; fanget daher nur recht tüchtig an, um euch umherzugreifen, und wir werden fürs nächste Mal hinreichend Stoff zur belehrenden Erörterung bekommen. -