Das Grosse Evangelium Johannes: Band 2
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre.
(Im Sommer des Jahres 30)
Erste Reise des Herrn:
Kis - Landungsstelle Sibarah - Nazareth
- Kapitel 84 -
Chiwars Zeugnis über Johannes und Jesus
Sagt darauf der Redner Chiwar: ,,Wozu bedarf es denn für uns Eingeweihte solch unsinnigster Plackerei? War ich nicht von meinem elften Jahre an bis in mein fünfundzwanzigstes ein Diener im Tempel und weiß es nur zu gut, wie dort die Dinge stehen? Hätte ich schlecht sein wollen, was alles hätte ich schon seit lange her verraten können! Aber ich dachte mir: Das blinde Volk hängt dennoch am Tempel - wie zuvor!
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Warum sollte ich dem Volke den Glauben nehmen, auf den meines Dafürhaltens es noch immer seine unbegrenzten Hoffnungen setzt, und bei dem wir Priester wenigstens ein weltliches gutes Sein haben? Spannen wir aber nun, wo wir keinen reellen Hintergrund mehr haben, unsere Saiten zu hoch, so werden sie reißen, und mit unserem Gesange wird es dann auf einmal aus sein, und wir können uns nachher um Fischernetze umsehen und dort zu fischen anfangen, wo das Meer am bodenlosesten sich zeigt.
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Was vermögen wir dann gegen die Macht unserer von Tag zu Tag zahlreicher werdenden Feinde? Glaubst du, daß uns dann der Tempel schützen werde? Dessen sei du ja nicht gewärtig; denn in Rom leben nun schon gar viele Juden, die dort von den im Tempel widerrechtlich zusammengerafften großen Schätzen glänzende Häuser führen! Diese werden unsere Vertreter sowenig sein wie die gegenwärtigen Templer, die ihre Flügel gleich den Schwalben schon jetzt in der Spannung halten, bei der ersten besten Gelegenheit eine Reise übers große Meer nach Italien in Europa zu machen, um nimmer wieder nach Asien heimzukehren.
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Darum sollte es uns allen nun ein gepriesener Rat sein, fürs erste unserem Fache als Priester so würdig als möglich in aller Gelassenheit vorzustehen, und fürs zweite das römische ,In medio beati` () ja recht wohl zu beachten, sonst könnten wir schon in wenig Jahren uns aufs Fischen verlegen!
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Zu allem dem treten gerade in dieser Zeit zwei Männer auf, deren ewig unbegreifliche Macht imstande wäre, mit ihrer neuen Lehre die ganze Erde in wenigen Jahren rein für sich zu gewinnen! Johannes, der zwar dem Leibe nach nicht mehr unter den Sterblichen, ist der erste, zu dessen Lehre sich halb Judäa und Galiläa bekannt haben und sich jetzt noch hartnäckiger bekennen, als das zu seinen Lebzeiten der Fall war! Herodes konnte also wohl in seiner Geilheit dem Leibe des offenbarsten Propheten das Haupt nehmen; wird er aber solches auch seinem Geiste und dem Geiste seiner göttlichen Lehre zu tun imstande sein? Ich glaube es ewig nicht; denn erst durch die Verfolgung wird jede gute Lehre groß und unüberwindlich stark!
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Johannes ist zwar dem Leibe nach aus dem Wege geräumt, aber an seine Stelle trat der bekannte Jesus, gegen den sich Johannes kaum so verhält, wie ein Maulwurfshügel gegen den mächtigen Berg Ararat! Sein übermenschlich sanftes und über alle Maßen menschenfreundliches, allerfreisinnigstes Auftreten und Benehmen, die tiefste Weisheit in jedem Satze Seiner Reden, deren rein göttlich salbungsvolle und leichtfaßliche Wahrheit keinen Menschen, der nur einen erbsengroßen Verstand in seinem Herzen besitzt, auch nur einen Augenblick zweifeln läßt, daß sie aus den Himmeln herabkommt - und endlich Seine Taten, von denen jeder Mensch sagen muß: So etwas kann nur Gott allein möglich sein!
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Was wollen oder können wir nun mehr wohl gegen Ihn ausrichten? Verhaßt und unerträglich können wir uns solchen zu außerordentlichen Erscheinungen gegenüber wohl machen, aber sicher nicht zu unserem Nutzen, sondern nur zu unserem größten Schaden.
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Darum heißt es hier, sich so klug als möglich zu benehmen und nie auf das Gegenwärtige, sondern vielmehr auf das Künftige all unser Augenmerk zu richten, sonst ist es mit unserem Bestande über Nacht aus!"
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Sagt der Oberste: ,,Du meinst sonach, daß man diesen Jesus nicht solle aufgreifen lassen, sondern fein abwarten, bis er uns total zugrunde gerichtet haben wird?"
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Sagt darauf Chiwar: ,,Greife Ihn auf, wenn dir solches möglich ist! Was haben wir nicht alles gegen Ihn unternommen, und was hat es genützt? Ich sage es dir: Sonst nichts, als daß Er um ein paar tausend Jünger reicher geworden ist und wir um dieselbe Zahl ärmer, - und daß wir bald alle das große Glück gehabt hätten, über die scharfen Klingen der Römer zu springen, die Ihn für einen barsten Gott halten!
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Zudem hat Er, was auf der Erde nie erlebt wurde, stets ein paar Engel in Seinem Gefolge, die bei all ihrer scheinbaren Zartheit und Knabenschwäche aber dennoch eine Macht und Kraft besitzen, von der sich unsere überaus kurze Weisheit noch nie etwas hat träumen lassen. Und an Den möchtest du deine Hände legen und Ihn aufgreifen? Ich bitte dich: sei alles, aber nur nicht wahnsinnig! Ehe du einen Tritt in böser Absicht gegen Ihn machst, bist du schon gelähmt! Oder glaubst du, Er weiß es etwa nicht, was wir hier verhandeln? Ich sage es dir: da irrst du dich himmelhoch! Diese alle stehen als Zeugen hier, wie Er vor ein paar Tagen um jede Kleinigkeit gewußt hat, was wir um Mitternacht über Ihn geredet und so leise weg beschlossen haben!
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Es ist ganz angenehm, sich von einem großen Sturm auf dem Meere etwas vorerzählen zu lassen; aber eine ganz andere Sache ist es, ihn selbst bestanden zu haben! Ich sage es dir: Verwalte du ganz ruhig und ohne Aufsehen dein Amt, und es werden dich von keiner Seite her Unannehmlichkeiten treffen; wie du aber tyrannisch zu Werke gehen wirst, so stehen wir alle dir dafür, daß nicht nur du und dein Kapernaum, sondern ganz Jerusalem über den Haufen geworfen wird! Wir können durch große Klugheit das Jerusalem wohl allfällig noch fünfzig Jahre erhalten, - aber auch dessen Sturz in wenigen Wochen herbeiführen durch unsere höchst unzeitige Torheit!
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Dir steht nun die Wahl frei, zu tun, was dir beliebt; wir haben nur einen Katzensprung zu den Römern! Sie sind, gottlob, unsere Freunde; aber für dich dürfte der Weg ein sehr weitgedehnter werden! Es erheischt ja doch die menschliche Klugheit, eine hohle Nuß allzeit für eine volle hintanzugeben! Was willst du denn vom habgierigen Tempel aus, der schon lange eine total hohle Nuß ist, noch fischen? Ist es denn nicht bei weitem klüger, sich an das Werdende zu halten, wo etwas darin ist? Ich sage es dir ganz unverhohlen, daß nun all die großen und mächtigsten Herren aus Rom sich von Jesus wie die Lämmer leiten lassen! Hat Er diese für Sich und Seine wahrhaft göttlich reine Lehre, was sollen wir dann gegen Ihn anfangen? Wirst du nur eine Miene machen, Ihn aufzugreifen, so wirst du schon so gut wie aufgegriffen sein, und es wird kein Mensch für deine Freilassung auch nur einen Schritt tun; benimmst du dich aber klug, so werden die Römer auch deine Freunde werden, und du wirst also gleich dem Jairus ein gutes Sein haben! Tue aber nun, was du willst; die Folgen werden es dir sagen, ob wir dir einen freundschaftlichen oder einen feindlichen Rat erteilt haben!"
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Diese Rede des Chiwar hatte ihre Wirkung nicht verfehlt; der Oberste ward sanfter und fing an einzusehen, daß sowohl Roban wie Chiwar vollkommen recht hatten und versprach ihnen, daß er ihren Rat getreu befolgen werde. - Und es war so der erste Sturm in der Synagoge gut abgelaufen.