Gottes Neue Offenbarungen

Die Geistige Sonne
Band 2

Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits

- Kapitel 54 -

XII. Galerie. Das Fortschreiten des Geistes

Ihr fraget und saget hier: Wir kommen somit aufs eigentliche Dach dieses Gebäudes, wo du von einem großen, freien Platze gesprochen hast. Das wäre alles gut und richtig, lieber Freund und Bruder. Auf diesem freien Platze wären wir somit auf dem elften Stockwerke oder auf der zwölften Galerie? Da aber das Dach doch unmöglich weder als eine Galerie noch als ein Stockwerk betrachtet werden kann, so können wir uns jene Fernsicht von dem wohlbekannten Gebirge nicht erklären, wo wir so ganz eigentlich zwölf Stockwerke erschaut haben. Waren diese zwölf Stockwerke bloß eine optische Täuschung oder hat es damit eine andere Bewandtnis? Wir haben in Verlaufe der Besteigung dieses wundervollen Gebäudes zwar schon einmal dieses Nichtübereinstimmen erwähnt, jedoch damals hast du uns auf bessere Gelegenheiten verwiesen und sagtest, was es damit für eine Bewandtnis habe, werden wir am rechten Orte und an rechter Stelle erfahren. Und so möchten wir von dir ein wenig im voraus erfahren, ob nun an diesem freien Platze solcher rechte Ort und solche rechte Stelle sein wird, da wir solches erfahren möchten?
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Meine lieben Freunde und Brüder! Ich sage euch: Steiget nur mutig aufwärts, und oben in glänzender Freie werdet ihr schon ohnehin ersehen, was alles ihr erfahren werdet.
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Die Sache, die euch so sehr am Herzen liegt, ist nicht von so großer Bedeutung, als ihr sie euch vorstellet, sondern ist von der Art, daß sie sich ohnehin beim ersten Anblicke in der oberen Freie von selbst erklären wird. Wir aber werden in dieser Freie mit ganz anderen Dingen zusammenstoßen, die von bei weitem größerer Wichtigkeit und höherem geistigem Interesse sein werden, als das euch noch abgängige zwölfte Stockwerk. Und so gehet denn nun munter und hurtig aufwärts, damit wir ehemöglichst unsere Freie erreichen.
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Sehet, wenn man seine Schritte beschleunigt, so kommt man eher ans Ziel, als so man dieselben verzögert. Solches ist sicher und richtig und braucht keinen mathematischen Beweis; aber der Geist ist auch des Fortschreitens fähig, und das bei weitem mehr als der formelle Leib. Wie aber kann der Geist seine Schritte beschleunigen und wie verzögern? Sehet, daß läßt sich nicht so geschwind ganz klar begreifen; daher wird es wohl notwendig sein, noch vor dem völligen Eintritte auf den obersten freien Platz ein paar Wörtlein darüber zu verlieren, und so höret mich denn an!
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Ihr wisset, daß das Fortschreiten des Geistes nicht etwa in einem stets mehr und mehr Weiserwerden, sondern lediglich nur in einem stets mehr mit Liebe zum Herrn Erfülltwerden besteht, aus welcher stets größeren Liebesfülle ohnehin alle anderen Vollkommenheiten und Fähigkeiten des Geistes erwachsen. Wenn aber solches klar und ersichtlich ist, so fragt es sich: Wie aber soll da der Mensch es anstellen, daß er ehemöglichst zur Liebefülle zum Herrn gelangt? Denn es ist ja bekannt, wie so manche Menschen sich den Herrn recht tiefst angelegen sein lassen. Fragt man sie aber um ihre geistige Vervollkommnung, da sagen sie:
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Was unsere geistige Vervollkommnung betrifft, so wird es der liebe Gott wissen, was es damit etwa für eine Bewandtnis hat. Wir halten Seine Gebote so viel, als es uns nur immer möglich ist; wir beobachten alle anderen Regeln, wir halten die tägliche Sabbatsruhe und beten viel zu Gott dem Herrn und bitten Ihn auch zu jeder Zeit um die baldmöglichste Vollendung unseres Geistes. Aber dessen ungeachtet gewahren wir nur kaum merkliche Fortschritte, und wenn wir nicht sehr auf uns acht geben, so kommt es uns noch überdies vor, als hätte unser Geist nicht nur keinen Fortschritt, sondern eher einen Rückschritt gemacht, so daß wir uns darüber schon so manchmal ganz leisen Zweifeln überlassen und uns so heimlich gedacht haben: Entweder sind wir für solch einen geistigen Fortschritt gar nicht berufen oder die ganze Behauptung von der Vervollkommnung des Geistes ist wenigstens im irdischen Leben nichts anderes als eine fromme Fabel oder doch wenigstens eine Hypothese.
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Sehet nun, meine lieben Brüder und Freunde, das ist so die gewöhnliche Antwort auf die Frage über den zögernden Fortschritt des Geistes, welcher bei den Menschen auf der Erde wohl zu allermeist gang und gäbe ist.
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Sollte es denn in solchem Fortschreiten keine wahre Beschleunigung geben können? Sollte es denn keine Korneliusse mehr geben, über welche der Geist Gottes eher kommt, bevor sie vom Petrus getauft werden? Sehet, das ist eine ganz andere Frage, und ihre Beantwortung ist sicher von der größten praktischen Wichtigkeit. Wie aber werden wir solche Frage, die von einer so großen Wichtigkeit ist, auf die befriedigendste Weise zu jedermanns klarer Einsicht beantworten können? Das soll uns so schwer nicht werden; denn wo es für eine Sache genug anschauliche Beispiele gibt, da darf man sie bloß als Evangelisten betrachten, und die Antwort gibt sich dann von selbst. Wir wollen uns daher nicht länger mit Einleitungen aufhalten, sondern sogleich nach dem nächsten besten Beispiele greifen.
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Nehmen wir an, in irgendeiner Hauptstadt lernen Tausende z.B. die Musik. Unter diesen Tausenden sind wenigstens einige Hundert mit wirklich ausgezeichneten Musiktalenten begabt; wie viele aber werden aus all diesen Schülern wohl als wirkliche Künstler und Virtuosen hervorgehen? Vielleicht einer, vielleicht aber auch gar keiner; und es wird einer Stadt am Ende zu gratulieren sein, wenn aus zehn Jahrgängen einer oder höchstens zwei hervorwachsen werden, die sich den Namen ,,Künstler" und ,,Virtuose" im Vollmaße zu eigen gemacht haben. Ist aber das nicht ein barster Schimpf für die Menschheit, da doch ein jeder sagen kann: Ich habe ja auch einen unsterblichen Geist in mir, ein Ebenbild Gottes! Wie steht es aber mit solchen Ebenbildern der allerhöchsten Vollkommenheit, so sich die wenigsten nur kaum über die Mittelmäßigkeit emporzuarbeiten imstande sind? Die größte Anzahl aber bleibt schon ohnehin unter dem Gefrierpunkte stehen, obschon sie auch aus Ebenbildern Gottes bestehen. Warum solches sich also gestaltet, werden wir sogleich in den Studierzimmern unserer Musikschüler erschauen.
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Sehet, da ist gleich eine Gasse, bestehend aus hundert Häusern, da wohnen wenigstens tausend Musikschüler. Gehen wir in Nr. 1 hinein. Sehet, da schläft soeben der Schüler recht sanft und das noch hübsch weit weg von seinem Instrumente; wird er wohl ein Künstler? Ich meine, im Schlafe lernt man die Kunst nicht. - Gehen wir ins Haus Nr. 2; sehet, da zieht sich der Schüler gerade an, um vom schönen Tage zu profitieren und eine kleine Landpartie zu machen, davon er ein großer Freund ist. Wird er wohl ein Künstler? Ich meine, auf den Straßen, am Felde und im Walde lernt man die Kunst nicht. - Gehen wir ins Haus Nr. 3; sehet, da sitzt doch ein Schüler bei seinem Instrumente und übt gähnend seine Aufgabe. Wird er wohl ein Künstler? Ich meine, für die Kunst ist ein gähnender Eifer zu gering.
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Aber gehen wir wieder ins nächste Haus. Sehet, da treffen wir gar keinen Schüler an, und die liederlich durcheinander liegenden Musikalien, welche sonst ganz wohl erhalten aussehen, geben uns einen hinreichenden Beweis vom Eifer unseres Schülers. Wird etwa aus diesem ein Künstler herauswachsen? Ich meine, da könnte eher das ganze Instrument zu Gold werden, als der Schüler zu einem Künstler. - Gehen wir ins nächste Haus; vielleicht finden wir da so einen angehenden Künstlerheros. Höret, es übt sich ja einer; aber sehet ihn an, seine Augen sind voll Tränen, denn er ist von seinem Vater, der sichs für seinen Sohn viel kosten läßt, soeben dazu geprügelt worden. Wird aus diesem ein Künstler? Da saget ihr schon: Ex trunco non fit Mercurius; welches ebensoviel sagen will als: Aus der geprügelten Liebe zur Kunst wird nicht sehr viel Künstlerschaft zum Vorschein kommen. Sollen wir in noch mehrere Häuser hineingehen, um ähnliche Kunstjünger zu besuchen? Ich meine, solches wird nicht vonnöten sein.
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Aber sehet, ganz am Ende der Gasse in einer ganz unansehnlichen Kneipe wohnt eine ärmliche Familie; da wollen wir hineingehen und sehen, wie dort die Kunst betrieben wird, weil auch ein Kind dieses ärmlichen Vaters die Musik lernt. Sehet, der Knabe hat an diesem Tage wenigstens schon seine acht Stunden studiert; abends nun aber will der Vater des Knaben Gesundheit wegen ihn mitnehmen auf einen kleinen Spaziergang. Aber sehet nur den Knaben an, wie er sein Instrument ans Herz drückt und es liebkoset, als wäre es sein größter Lebensfreund! Nur mit bedeutender Mühe und großer Beredung von seiten des Vaters trennt sich unser Kunstjünger mit Tränen im Auge von seinem Lieblinge und spricht: Du mein teuerstes Kleinod! In kurzer Zeit, ja in sehr kurzer Zeit gehöre ich wieder ganz dir an! Ich frage nun: Wird aus diesem ein Künstler? Gehet hin, höret seine Töne, die er in kurzer Zeit aus seinem Instrumente zu ziehen gelernt hat, und ihr werdet sagen: Ach, das sind Wundertöne! Man glaubt, sie kommen von überirdischen Räumen herab. Ja, ja, meine lieben Freunde und Brüder, dieser Jünger wird sicher ein großer Künstler; denn dieser hat schon den rechten Lehrmeister in seiner Brust, und dieser Meister lehrt ihn, alles der Kunst zum Opfer zu bringen und läßt ihn nirgends ein größeres Vergnügen treffen und finden, als eben in seiner zu erlernenden Kunst.
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Alle früheren waren wohl auch Jünger der Kunst, aber sie hatten keine Liebe zu ihr und werden es daher ohne diesen Meister auch nie weiterbringen. Warum aber hatten sie keine Liebe? Weil ihnen die Weltzottelei lieber war als die Selbstverleugnung und ein vollernstliches Ergreifen der Liebe zur Kunst. Aus diesem Grunde aber werden sie auch nur die Früchte ihrer Weltzottelei, aber nie die der herrlichen Kunst ernten.
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Nun sehet, dieses Beispiel gibt uns einen genügenden Aufschluß, worin die Beschleunigung der geistigen Fortschritte den Grund hat.
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Wird man wohl zu der inneren Vollendung gelangen auf Spaziergängen, in Theatern oder bei geselligen Freundschaftszirkeln oder bei anderen weltlichen Geschäften von was immer für einer Art? O nein; aus all dieser Weltzottelei wachsen durchaus keine Korneliusse heraus, wie solches auch der Herr Selbst gar deutlich gezeigt hat, als Er in einem Gleichnisse mehrere Freunde zu einem Gastmahle lud, und die Freunde aber sich mit allerlei entschuldigten, darum sie der Einladung nicht folgen mögen. Der eine hat mit ein Paar Ochsen etwas zu tun; ein anderer ist in Heiratsangelegenheiten; ein dritter kauft einen Grund, und so kann keiner kommen. - Sehet, das sind Weltzottler, die die Fortschritte des Geistes sicher nicht beschleunigen. Sie sind zwar sonst sehr respektable Freunde des Herrn, sonst hätte Er sie nicht laden lassen; aber nur die Zeit fehlt ihnen, zu kommen.
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Der Herr aber spricht zum reichen Jünglinge: Gib alles hintan und folge Mir nach, so wirst du einen Schatz im Himmel dir bereiten, oder mit andern Worten: Du wirst die Vollendung deines Geistes überkommen!
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Wer diesem Rufe nicht so folgt, wie ihr von meinen Brüdern, den Aposteln wisset, wie diese dem Herrn auf den ersten Ruf gefolgt sind, der muß sich denn auch gefallen lassen, daß der Herr mit ihm ebenso herumzottelt, wie der Gerufene es zu tun pflegt mit dem Herrn. Daraus aber können wir folgende ganz kurze Regel ziehen:
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Je mehr Weltzottelei, desto weniger geistigen Fortschrittes; je weniger Weltzottelei, desto beschleunigter die Fortschritte des Geistes. Mit gar keiner Weltzottelei aber kann aus jedem Menschen ein Kornelius herauswachsen. - Mehr brauchet ihr nicht; daher öffnet das Pförtlein und steiget in die lichte Freie! -

Fußnoten